Sonntag, 27. Mai 2018

Hoffmann, Holtby und der HSV

Selbst der Abstieg kann der Aufbruchsstimmung beim HSV nichts anhaben. Unvergessen ist der Tag an dem der Abstieg endgültig Realität wurde, unvergessen die Reaktion der Fans, die Unterstützung der Mannschaft, die Liebe zum Verein.
Mehr als 4.000 Menschen haben sich dazu entschlossen Mitglied beim HSV zu werden, um ihren Verein gerade jetzt zu unterstützen, aber auch um ein Zeichen zu setzen:
Wir mögen abgestiegen sein, aber wir leben noch!

Mit dieser Reaktion Hamburgs war zwei Monate vor dem letzten Spieltag nicht zu rechnen. Seit Monaten brodelt es bei Heimspielen, man hörte schon bei den ersten Fehlern im Spiel Pfiffe und als sich der HSV, begleitet von medialer Häme, die obligatorische Klatsche in München abgeholt hat tauchte auf dem Trainingsplatz das unsägliche Plakat: „Eure Zeit ist abgelaufen, wir kriegen euch alle!“ auf und die elf Kreuze wurden aufgestellt.
Die Enttäuschung wurde zur Wut und bei einigen Verblendeten gar zum Hass. Ich mag mir gar nicht vorstellen, wozu es noch gekommen wäre, wenn sich das Spiel der Mannschaft nicht grundlegend geändert hätte.

Dafür, dass ich die erwartete Selbstzerfleischung meines Vereins nicht erleben musste, hat vor allen anderen Christian Titz gesorgt. Mit dem veränderten Auftreten der Mannschaft unter seiner Führung, dem konsequenten Einbau junger Spieler, denen auch mal ein schlechter Auftritt (zB. Steinmann in Hoffenheim) verziehen wurde, ohne sie aus der Startelf zu verbannen, wandelte sich auch die Stimmung im Verein. Wenn es einen Beleg bräuchte, dass Fans ein Gespür für Leistungen ihres Vereins haben, muss man sich nur die Bilder von Frankfurt vor Augen führen, als nach der 0:3 Niederlage mit Tränen in den Augen applaudiert wurde.

Drei Wochen vor dem Auftritt in München wurde Bernd Hoffmann mit 51,09% der anwesenden Mitglieder zum Präsidenten des HSV eV gewählt. Es wurde "Gebuht, gebrüllt, gewählt" und hätten ein paar Mannschaften die Versammlung nicht vor der Wahl verlassen müssen…
Hätte, hätte Fahrradkette.
Am 18.Februar wurde Hoffmann gewählt, am 7.März übernahm er den Vorsitz des Aufsichtsrates um am Tag darauf Heribert Bruchhagen freizustellen und auch Jens Todt (via Wettstein) zu entlassen. Vier Tage und ein Auswärtsspiel in München später folgte die Trennung von Bernd Hollerbach.

Unter Christian Titz, der von Bernhard Peters, Johannes Spors und Frank Wettstein als Trainer installiert wurde bekam der HSV erstmals seit langer Zeit so etwas wie Glaubwürdigkeit im Handeln zurück. Nicht nur ich rieb mir ob des Auftritts gegen die Hertha verwundert die Augen. Kaum zu glauben, dass die Spieler, die vor Wochenfrist kaum einen Ball stoppen konnten auf einmal Fußball spielten. Ja spielten und nicht nur arbeiteten. Stützen der Nachwuchsmannschaft funktionierten auch bei den Profis und als Fan mochte man sich wieder mit dem was da auf dem Platz passierte identifizieren. Man glaubte ein Konzept erkennen zu können. Man ging wieder wegen und nicht trotz des Fußballs ins Stadion.

Hinter den Kulissen arbeitete der Aufsichtsrat daran die Lücken in der Vorstandsetage zu schließen. Während Frank Wettstein dadurch punktete, dass die Lizenzen für beide Ligen ohne Auflagen erteilt wurden, geisterten erste Namen von Sportvorständen durch die Medien. Die Suche nach einem/ einer Vorstandsvorsitzenden verlief wesentlich ruhiger. Gegen Ende der Saison kristallisierte sich heraus, dass der neue Sportchef wohl noch unter Vertrag stehen müsse und die Namen Becker und Krösche wurden, oder  besser werden als heißeste Eisen gehandelt.

Die Suche nach einem Vorstandsvorsitzenden wurde gestern bis auf weiteres unterbrochen, oder gar eingestellt. Bernd „Ich strebe kein Amt im Vorstand an“ Hoffmann hat jetzt seinen dritten leitenden Posten beim HSV inne. Mehr davon sind meines Wissens nach auch nicht zu vergeben.
Nüchtern betrachtet hat der Aufsichtsrat keinen besser geeigneten Kandidaten gefunden und die Position intern besetzt. An der fachlichen Eignung Hoffmanns besteht wohl selbst bei dessen Kritikern kein Zweifel, doch was wird aus der gerade eingekehrten Glaubwürdigkeit im Handeln, was mit der einheitlichen Unterstützung?

„Momentan macht der HSV vieles richtig“ war eine sehr gebräuchliche Redewendung in den letzten Wochen, die Hoffmannentscheidung ist zumindest als unglücklich zu bezeichnen.
Einige unterstellen Hoffmann, dass er ganz gezielt auf den gestrigen Tag hingearbeitet hat und bezichtigen ihn der Lüge, da er sein neuestes Amt im Vorwege ausgeschlossen hat. Andere sehen in Hoffmann den Heilsbringer, da sich seit seiner Rückkehr doch so vieles im Verein gebessert hat. Manche mögen in ihm auch ein momentan notwendiges Übel sehen, da halt kein besserer Kandidat zur Verfügung stand.

Mir selbst missfällt die gestrige Entscheidung aus mehreren Gründen.
Ohne Hoffmann etwas unterstellen zu wollen mag ich auch nicht ausschließen, dass eine Rückkehr ins operative Geschäft sein Wunsch oder gar Ziel war. Ich habe ihn nie für den Typ Vereinspräsident gehalten und habe seine Wahl stets als Mittel zum Zweck empfunden. Das hat er ja auch selbst so gesagt. Selbstverständlich wird sein Amt als Vereinspräsident von seinen Vertretern übernommen werden, doch waren diese bei der Wahl im Februar bestenfalls Beiwerk zu Hoffmann.
Thomas „So wahr mir Gott helfe“ Schulz steigt in den AR auf und wird selbstverständlich grundkritisch verfolgen, was sein ehemaliger Kollege so anstellt.
Am meisten stört mich aber der Verlust der Glaubwürdigkeit. Hoffmanns Ernennung ist zweifelsfrei legitim, doch sie geschieht halt durch die Hintertür. Derjenige, der niemanden für den Posten gefunden hat besetzt ihn eben selbst. Ein Schelm der Böses dabei denkt.
Auch die positive öffentliche Wahrnehmung wird durch diese Entscheidung torpediert und der HSV gibt nach außen hin mal wieder das Bild des Karnickelzüchtervereins ab.

Wie intensiv die Suche nach einem Vorstandsvorsitzenden gewesen ist vermag ich nicht zu beurteilen und auch ob mein Kandidat (Holger Hieronymus) überhaupt gefragt wurde weiß ich nicht. Auf keinem Fall möchte ich Bernd Hoffmann die Qualifikation absprechen, doch wenn ich nur überlege, dass er gestern am Tisch saß als über den neuen Sportchef/vorstand gesprochen wurde drängt sich mir das Bild der Einmannkapelle auf. Ein Model aus vergangenen Zeiten.

Zum Abschluss sei mir noch ein Wort zu Lewis Holtby und dessen Vertragsverlängerung gestattet.
Hört doch bitte mit dem Stuss auf  den Spielern ihren Gehaltscheck vorzuwerfen. Da verzichtet ein Spieler auf Geld um mit unserem Verein in die zweite Liga zu gehen und die Konsequenzen seines Scheiterns mit zu tragen und ihm wird vorgeworfen nicht in die Systeme mehrerer Trainer gepasst zu haben und zu viel zu verdienen. Das leuchtet mir nicht ein.
Noch absurder wird es, wenn ich überlege, dass Titz von allen gefeiert wird und Holtby einer seiner Eckpfeiler sein soll. Ja was denn nun, vertrauen wir Titz oder nicht.
Wenn ich dann noch überlege, was ein Ersatz für Holtby mit Ablöse, Beraterkosten usw. kosten würde fehlt mir jegliches Verständnis für die Kritiker dieser Vertragsverlängerung.
Und ja, auch eine Vertragsverlängerung von Hunt würde ich befürworten. (Er muss ja nicht jeden Standard schießen).
Nur der HSV!

Sonntag, 13. Mai 2018

Erhobenen Hauptes

Irgendwie wollte die gestrige Szenerie rund um den Volkspark so gar nicht zu einem Abstieg passen. Pfiffe und Schmähungen gegen die Mannschaft? Fehlanzeige.
Im Gegenteil. Als so um die 70. Minute durchgedrungen ist, dass Wolfsburg die Kölner schlagen würde raffte sich das gesamte Stadion auf und bescherte mir das vielleicht eindrucksvollste Stadionerlebnis, das ich je genießen durfte.

Der Capo sagte, dass jeder mit dem Abstieg umgehen müsse, wie er es für richtig hielte und stimmte als letzten Gesang „Mein Hamburg lieb ich sehr“ an, jenen Abschlach Song, der die Verbundenheit zu Stadt und Verein so einzigartig auszudrücken vermag.
Es wurde laut gesungen und das gesamte Stadion sang mit. Ich hätte heulen können vor Freude und Stolz ein Teil dieser Fangemeinde zu sein, die den sportlichen Tiefpunkt der Vereinsgeschichte zu so einem großartigen Erlebnis machte und mich den Gang in die zweite Liga erhobenen Hauptes antreten lässt.

Jeder wie er es für richtig hält beinhaltet leider auch, dass einige Sylvester vorverlegten.
Mit Pyrotechnik war ja zu rechnen, die Rauchtöpfe sind mir schon zu viel und die Böllerei geht halt gar nicht. Die Ultras hatten gestern die Chance auf Grund der Leistung der Mannschaft und der Stimmung im Stadion einfach wieder unter ihrer schwarzen Plane vor zu kommen und auf den Einsatz von Pyrotechnik zu verzichten, um damit ein Zeichen zu setzen. Doch wie so viele Chancen im Verein wurde auch diese vertan. Vor dem Spiel spendete ich (wie so oft) noch etwas Geld für Choreos, am Ende des Spiels ging das dann in Rauch auf…
Die Reaktion der restlichen 56.800 Zuschauer war eindeutig und sollte im Mittelpunkt der Berichterstattungen stehen, auch wenn die Bilder vielleicht nicht ganz so spektakulär sind!

„Ich hab nen harten Tag gehabt“ diese ersten Worte von „Mein Hamburg lieb ich sehr“ sagen schon viel über meinen Gemütszustand aus.
Ich vermag noch nicht so recht einzuschätzen, was uns in der zweiten Liga erwartet und ob wir dem gewachsen sein werden. Für viele unserer kommenden Gegner werden die Spiele gegen uns die Highlights der Saison sein und entsprechend engagiert werden sie diese angehen.
Andersrum bin ich total gespannt darauf, wie sich der HSV entwickeln wird und bin happy, dass Christian Titz der Trainer bleibt, hoffe aber auch, dass Strukturen geschaffen werden, die eine Grundphilosophie auch unabhängig vom Trainer ermöglichen.
Mich haben gestern sehr viele persönliche, aufmunternde Nachrichten erreicht, über die ich mich sehr gefreut habe. Dabei hält sich meine Niedergeschlagenheit merkwürdiger Weise in erträglichen Grenzen.
Aber natürlich habe ich auch viele Posts gelesen, die ihre Freude über unseren Abstieg ausdrückten, all jenen möchte ich zurufen: „ Habt Spaß mit den Wolfsburgs und Hoffenheims dieses Landes, mit leeren Gästebereichen und überschaubaren Fanszenen!“
Als gestern die Gladbachfans ungeachtet dessen, was ihre Fohlen da auf dem Platz gezeigt haben ihre Schmähgesänge auspackten, wurden sie von uns HSV-Fans niedergesungen und verstummten völlig.
In diesem Sinne:
Mein Hamburg lieb ich sehr, sind die Zeiten auch oft schwer,
weiß ich doch hier gehör ich her.
Hier wo ich geboren bin, wo ich spielte schon als Kind,
in den Straßen, die mein Zuhause sind!

Sonntag, 6. Mai 2018

Kurz vor Schluss

Eigentlich waren wir doch schon lange tot, ruiniert und abgestiegen.
Mehr als zehn Jahre der Misswirtschaft unter der Leitung von Pseudofachleuten haben meinen Verein zerstört. Die heutige Situation ist kein Wunder, oder Unfall sondern das Ergebnis konsequenten Missmanagements. Immer war es wichtiger Leute auf den entscheidenden Positionen zu haben, die man von außen beeinflussen konnte, als auf Kompetenz zu setzen.
Als wir Mitglieder dann die Schnauze so voll hatten, dass wir die Situation ändern mussten, kam man den Änderungswünschen pro Forma nach, verriet aber deren Inhalte und Philosophie.
Siehe dazu das NDR-Interview mit Holger Hieronymus.

Inkompetente, gängelbare Abnicker im Aufsichtsrat ließen ihrem Wunschvorstand freie Hand und ihn so Geld verbrennen, welches im Prinzip gar nicht vorhanden war. Die Folge davon ist, dass man sich nur noch von Lizenz zu Lizenz zu hangeln vermag und dabei auf Fremdkapital des Gönners oder wie zuletzt Signing fees des Vermarkters zurückgreifen muss. Der Spielraum für tatsächliche Gestaltung des Vereins bzw der AG wird dadurch und auch durch die bestehenden Verpflichtungen wie zB der Fananleihe minimiert.

Wenn es beim HSV etwas Positives aus den letzten Jahren zu vermelden gibt, ist es die Entwicklung im Nachwuchsbereich und Bernhard Peters ist nach außen hin vielleicht der einzige Glücksgriff in der trostlosen Bilanz des Dietmar Beiersdorfer.
Die des Trainers und einiger Eckpfeiler beraubte U21 verpasst (wahrscheinlich) nur knapp die Aufstiegsrunde zur dritten Liga und der U19 fehlte gestern 5 Minuten zum Erreichen der Endrunde um die deutsche Meisterschaft. An ähnliche (fast) Erfolge des Nachwuchses vermag ich mich nicht zu erinnern.
Die Beförderung von Christian Titz zum Trainer der Profis macht daher, unabhängig von seiner persönlichen Befähigung, aus unterschiedlichen Gründen Sinn.

Der HSV muss die Durchlässigkeit von der Jugend zu den Profis endlich leben, um den Talenten, seien es Trainer oder Spieler, Perspektiven aufzuzeigen. Da genügt es bei weitem nicht einen Campus und neue Trainingsplätze zu bauen, viel mehr muss jedem Talent egal ob aus den eigenen Reihen oder von außerhalb an möglichst vielen Beispielen vor Augen geführt werden, welche Möglichkeiten sie bei uns haben.

Wirtschaftlich gesehen ist dieser Weg noch alternativloser als vor vier Jahren. Um den Kopf aus der Schlinge der Handlungsunfähigkeit zu bekommen braucht man entweder die Champions League Qualifikation, oder man muss Spieler entwickeln, um diese mit Gewinn verkaufen zu können. Welche dieser Möglichkeiten mehr Aussicht auf Erfolg hat muss ich hoffentlich nicht erklären.

Auch für die Stimmung in und um den Verein herum ist dieser frisch eingeschlagene Weg unabdingbar. Erst seit sieben Spieltagen wird der HSV wieder als Fußballverein und nicht als Chaosclub wahrgenommen und alleine diese Tatsache grenzt schon an ein Wunder. Auch bin ich davon überzeugt, dass man mit einer frischen Strategie Türen zu Sponsoren öffnen kann, die in der Vergangenheit zugefallen sind. Allerdings braucht es dafür mehr als sieben Spieltage.
Hamburger Pfeffersäcke beeindruckt man halt nicht so leicht wie Fans.

Jetzt bin ich wieder wesentlich analytischer geworden, als es beabsichtigt war. Eigentlich wollte ich schreiben wie es mir in den letzten Wochen ergangen ist. Wie ich wieder mit Freude ins Stadion gegangen bin, weil ich einfach neugierig auf den HSV war. Und wie nach und nach aus dieser Neugier wieder Hoffnung erwachsen ist, nur um wieder zusammen zu fallen.
Realistisch gesehen besteht eine 40% Chance auf einen Sieg gegen Mönchengladbach und eine 20% Chance auf einen Sieg des Effzeh in Wolfsburg. Mathematisch ergibt es Wahrscheinlichkeit von 8% auf den Relegationsplatz, der zu 75% zum Klassenerhalt führen sollte. Das ergibt eine 6% Chance auf den Klassenerhalt.
Aber hey, wir sind der HSV, Wunder ist unser zweiter Vorname und die dicke Dame steht zwar auf der Bühne, geträllert hat sie aber noch nicht.
Mit welchem Gefühl ich am Sonnabend Richtung Volkspark ziehen werde vermag ich heute noch nicht einzuschätzen, sicher ist nur, dass ich laut sein werde und dass alles was passiert durch  Tanja, Kai und Tommi an meiner Seite erträglicher werden wird.

Nur der HSV!