Samstag, 16. Dezember 2017

In Frage gestellt

Heut Morgen fand ich auf Facebook folgende Aussage von Martin Sonnleitner, den ich sehr gerne lese, wenn er für die Welt schreibt, der auf Facebook aber natürlich privat unterwegs ist.
#HSV Und wer den Schuss noch nicht gehört hat: 15 Punkten nach Hinserie sind ein Armutszeugnis, auch für den Coach. Unter normalen Umständen wäre der lä‬ngst massiv in Frage gestellt. HSV ist aber nicht normal, sondern hochverschuldet.
Martins Aussage wurde direkt nach dem Spiel verfasst und doch glaube ich, dass er damit vielen HSVern aus der Seele schreibt und daher will ich mich einmal damit befassen.

Mal davon abgesehen, dass die Eröffnungsfloskel „Und wer den Schuss noch nicht gehört hat“ impliziert, dass der Verfasser und alle gleichdenkenden recht haben und diejenigen, die seiner These nicht folgen blind, verblendet oder schlimmeres sind macht es sich Martin meiner Meinung nach zu leicht.
15 Punkte nach der Hinrunde sind indiskutabel für den gesamten Verein, also auch und das in erster Linie für den Trainer und dass sich der Verein seit Jahren an der Grenze zur Handlungsunfähigkeit bewegt ist nun wirklich keine neue Erkenntnis, doch ist dies der Grund, weshalb Markus Gisdol noch  nicht in Frage gestellt wurde?

Wer stellt eigentlich einen Trainer in Frage?
Meist geschieht das erst in der Öffentlichkeit durch Äußerungen, wie die von Martin, durch Vergleiche der Punktausbeute mit den Vorgängern, kurz durch die Sehnsucht den einen Verantwortlichen für die Miesere benennen zu können.
Beim HSV war es lange Zeit darüber hinaus so, dass sich die Verantwortlichen so ungeschickt geäußert haben, dass man ihren Zweifel am Trainer zwischen den Zeilen heraushören konnte und sie so gewollt oder ungewollt die Trainerdiskussion befeuerten.

Momentan sprechen zwei Gründe dafür, dass der HSV an Markus Gisdol festhält.
Da wäre einmal Heribert Bruchhagen, der bekannt dafür ist an Trainern festzuhalten und dann ist da noch die Mannschaft selbst, die durch ihr Auftreten in der zweiten Halbzeit gegen Frankfurt und über weite Teile in Mönchengladbach zeigt, dass sie bereit ist sich gegen Niederlagen mit allem was sie hat zu stemmen.
Natürlich sind Bruchhagen durch die leeren Kassen die Hände gebunden und da muss er sich noch einmal mehr überlegen, ob es Sinn macht sich vom Trainer zu trennen, doch wage ich zu behaupten, dass er auch ohne diese Zwänge an Gisdol festhalten würde, weil er der Alternative (wie immer sie auch hieße) keine größere Erfolgschance zutrauen würde und weil die Mannschaft in den letzten Spielen eben zurückgekommen ist und zwar von ganz weit unten.

Mir selbst bereitet es fast körperliche Schmerzen sehen zu müssen, wie vogelwild ungeordnet und fast schon hilflos der HSV zwischen der 10. Und 30. Minute gegen Frankfurt und zu Beginn gegen Gladbach spielte, doch schaffte man es in beiden Begegnungen ins Spiel zurück. Gegen Frankfurt lieferte der HSV die stärkste zweite Halbzeit seit langem ab und gegen Gladbach war man drauf und dran das Spiel zu drehen. Natürlich fehlte in beiden Begegnungen der Erfolg, doch konnte man deutlich sehen, dass es in der Mannschaft stimmt.

Ich fände es großartig, wenn der HSV diesmal am Trainer festhalten würde, wenn er dem Kader vertrauen würde und auf panische Wintereinkäufe verzichten würde (dies schließt Kaderentwicklungen nicht aus), großartig wäre es dies offensiv zu verkünden, so mit Köpfen und Geschichten für den Verein zu werben , um die Lücken auf den Tribünen möglichst bald wieder zu füllen. Ideal wäre es sogar, wenn man von Kühne angebotenes Geld zurückweisen würde, um das Vertrauen in Trainer und Kader unter Beweis zu stellen.

Der HSV hat in den letzten Jahren einige Krisen überwunden in dem er Trainer und/oder Manager gefeuert hat, um sofort wieder in die nächste Krise zu schlittern. Würde man die jetzige Situation meistern ohne das verantwortliche Personal auszutauschen, könnte daraus eine Entwicklung entstehen. Dafür muss der Vorstand aber glaubhaft machen, dass er von diesem Weg überzeugt ist und ihn nicht mangels finanziellen Spielraums beschreitet.
Jetzt sind sie gefordert Herr Bruchhagen.

BTW: Über die Taktik des HSV habe ich mich mit Tobias Escher im HSVTalk unterhalten


Samstag, 2. Dezember 2017

Anspruchsdenken

Matthias Sammer war enttäuscht vom HSV. Fast schon sauer auf den HSV, eben den HSV, den er vor Jahren mal am Nasenring durch die Arena führte, als er Sportchef werden sollte. Auch wenn das olle Kamellen sind, sehe ich Sammer seither noch kritischer, als ich es ob seines einnehmenden Wesens ohnehin schon getan habe. Umso höher kann man es bewerten (wenn man denn will), dass ich Sammers Auftreten bei Eurosport im Verbund mit Jan Henkel für das Beste halte, was uns TV-Deutschland momentan in Sachen Fußball zu bieten hat.

Gestern also war der Sammer fast so sauer wie einst als seine Verpflichtung beim HSV als perfekt galt, bevor er zugestimmt hat. Diesmal war der Grund der fußballerische, teilweise antifußballerische Auftritt des HSV in Freiburg.
Unverständlich sei gewesen, dass eine Mannschaft, die einen Lauf hat die Bälle bei eigenem Abstoß so herschenkt, um über die Lotterie des zweiten Balles wieder in dessen Besitz zu kommen und so dem Zufall den Spielaufbau überlässt.

Zugegeben, schön anzusehen war das Spiel des HSV über weite Teile gerade der zweiten Halbzeit nicht und die fachlichen Analysen des Herrn S. trafen einmal mehr ins Schwarze und trotzdem maße ich mir an, die Aussagen des TV-Experten zu hinterfragen.
Einen Lauf attestiert Sammer dem HSV und begeht damit meiner Meinung nach einen grundlegenden Fehler, schließlich waren die Rothosen vor dem Freiburgspiel auswärts fünf Spiele lang nicht nur sieg- sondern punktlos. Aus den letzten elf Spielen holte der HSV gerade einmal sieben Punkte. Ist das ein Lauf?
Natürlich nicht. Wenn überhaupt kann man dem HSV bescheinigen allmählich an die Heimstärke der letzten Rückrunde anzuknüpfen.

Augenscheinlich war der ehemalige Feuerkopf vom Auftritt des HSV gegen Hoffenheim derart begeistert, dass er erwartete man würde die Freiburger mal eben schnell aus deren eigenem Stadion fegen. Auf jeden Fall hat Sammer nicht berücksichtigt, dass der HSV gerade dabei ist ein Spielsystem zu adaptieren und dabei großen Schwankungen unterliegt, da dieses nicht an jedem Tag auf jeden Gegner passt. Die Umstellung von einer auf zwei Spitzen von Dreier-auf Viererkette (oder umgekehrt), die während eines funktionierenden Spiels zu bestaunen war, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine Umstellung hin zu mehr Kreativität und Angriffskraft ungleich schwerer ist.
Zumindest scheint Markus Gisdol dies so zu sehen und wechselte in einer Phase, da im Spiel nach vorn nichts laufen wollte defensiv. Den Wechsel Walace für Hunt habe ich als Angst vor der eigenen Courage empfunden, hatte Gisdol doch mit Ito einen Spieler auf der Bank, der wesentlich belebender für das Spiel als der dritte Sechser gewesen wäre.

Aber warum kritisiere ich die sammersche Herangehensweise an das gestrige Spiel?
Ganz einfach. Wir HSVer werden immer wieder mit unseren überzogenen Ansprüchen konfrontiert, sind nach jedem Sieg schon fast in Europa und nach zwei Siegen auf dem Weg zur Meisterschaft.
Zugegeben es hat ein paar Jahre gedauert, bis die bittere Kost des Abstiegskampfes in den Köpfen der HSVer angekommen  ist, doch nach der zweiten Relegation und dem Scheitern von Dietmar Beiersdorfer weiß doch jeder im Volkspark (ausgenommen dem handelsüblichen Anteil an Spinnern), dass es im Moment nur darum gehen kann, die Abstiegsplätze möglichst schnell, möglichst weit hinter sich zu lassen. Wenn dabei endlich einmal(!) das Einbauen von Talenten, die zum Teil auch noch aus dem eigenen Nachwuchs kommen, gelingt, ist das unser Europapokal.
In diesem Moment der Erdung, stellt sich Sammer auf Grund eines (zugegebener Weise starken) Spiels hin und erwartet große Ding vom HSV, die dieser noch (?) nicht zu leisten im Stande ist und bringt sein Missfallen über eben dieses Nichtleisten zum Ausdruck.

Das sind diese überzogenen Erwartungshaltungen, die uns HSVern immer vorgeworfen werden und eben das wollte ich nicht unkommentiert stehen lassen.
Ich halte es lieber mit den Spielern, die im Interview an die ertragslosen besseren Auswärtsauftritte der letzten Monate erinnerten und den etwas glücklichen Punkt halbwegs zufrieden mitnehmen.

PS: Jetzt kommen zwei Heimspiele
Nur der HSV