Selbst der Abstieg kann der Aufbruchsstimmung beim HSV nichts anhaben. Unvergessen ist der Tag an dem der Abstieg endgültig Realität wurde, unvergessen die Reaktion der Fans, die Unterstützung der Mannschaft, die Liebe zum Verein.
Mehr als 4.000 Menschen haben sich dazu entschlossen Mitglied beim HSV zu werden, um ihren Verein gerade jetzt zu unterstützen, aber auch um ein Zeichen zu setzen:
Wir mögen abgestiegen sein, aber wir leben noch!
Mit dieser Reaktion Hamburgs war zwei Monate vor dem letzten Spieltag nicht zu rechnen. Seit Monaten brodelt es bei Heimspielen, man hörte schon bei den ersten Fehlern im Spiel Pfiffe und als sich der HSV, begleitet von medialer Häme, die obligatorische Klatsche in München abgeholt hat tauchte auf dem Trainingsplatz das unsägliche Plakat: „Eure Zeit ist abgelaufen, wir kriegen euch alle!“ auf und die elf Kreuze wurden aufgestellt.
Die Enttäuschung wurde zur Wut und bei einigen Verblendeten gar zum Hass. Ich mag mir gar nicht vorstellen, wozu es noch gekommen wäre, wenn sich das Spiel der Mannschaft nicht grundlegend geändert hätte.
Dafür, dass ich die erwartete Selbstzerfleischung meines Vereins nicht erleben musste, hat vor allen anderen Christian Titz gesorgt. Mit dem veränderten Auftreten der Mannschaft unter seiner Führung, dem konsequenten Einbau junger Spieler, denen auch mal ein schlechter Auftritt (zB. Steinmann in Hoffenheim) verziehen wurde, ohne sie aus der Startelf zu verbannen, wandelte sich auch die Stimmung im Verein. Wenn es einen Beleg bräuchte, dass Fans ein Gespür für Leistungen ihres Vereins haben, muss man sich nur die Bilder von Frankfurt vor Augen führen, als nach der 0:3 Niederlage mit Tränen in den Augen applaudiert wurde.
Drei Wochen vor dem Auftritt in München wurde Bernd Hoffmann mit 51,09% der anwesenden Mitglieder zum Präsidenten des HSV eV gewählt. Es wurde "Gebuht, gebrüllt, gewählt" und hätten ein paar Mannschaften die Versammlung nicht vor der Wahl verlassen müssen…
Hätte, hätte Fahrradkette.
Am 18.Februar wurde Hoffmann gewählt, am 7.März übernahm er den Vorsitz des Aufsichtsrates um am Tag darauf Heribert Bruchhagen freizustellen und auch Jens Todt (via Wettstein) zu entlassen. Vier Tage und ein Auswärtsspiel in München später folgte die Trennung von Bernd Hollerbach.
Unter Christian Titz, der von Bernhard Peters, Johannes Spors und Frank Wettstein als Trainer installiert wurde bekam der HSV erstmals seit langer Zeit so etwas wie Glaubwürdigkeit im Handeln zurück. Nicht nur ich rieb mir ob des Auftritts gegen die Hertha verwundert die Augen. Kaum zu glauben, dass die Spieler, die vor Wochenfrist kaum einen Ball stoppen konnten auf einmal Fußball spielten. Ja spielten und nicht nur arbeiteten. Stützen der Nachwuchsmannschaft funktionierten auch bei den Profis und als Fan mochte man sich wieder mit dem was da auf dem Platz passierte identifizieren. Man glaubte ein Konzept erkennen zu können. Man ging wieder wegen und nicht trotz des Fußballs ins Stadion.
Hinter den Kulissen arbeitete der Aufsichtsrat daran die Lücken in der Vorstandsetage zu schließen. Während Frank Wettstein dadurch punktete, dass die Lizenzen für beide Ligen ohne Auflagen erteilt wurden, geisterten erste Namen von Sportvorständen durch die Medien. Die Suche nach einem/ einer Vorstandsvorsitzenden verlief wesentlich ruhiger. Gegen Ende der Saison kristallisierte sich heraus, dass der neue Sportchef wohl noch unter Vertrag stehen müsse und die Namen Becker und Krösche wurden, oder besser werden als heißeste Eisen gehandelt.
Die Suche nach einem Vorstandsvorsitzenden wurde gestern bis auf weiteres unterbrochen, oder gar eingestellt. Bernd „Ich strebe kein Amt im Vorstand an“ Hoffmann hat jetzt seinen dritten leitenden Posten beim HSV inne. Mehr davon sind meines Wissens nach auch nicht zu vergeben.
Nüchtern betrachtet hat der Aufsichtsrat keinen besser geeigneten Kandidaten gefunden und die Position intern besetzt. An der fachlichen Eignung Hoffmanns besteht wohl selbst bei dessen Kritikern kein Zweifel, doch was wird aus der gerade eingekehrten Glaubwürdigkeit im Handeln, was mit der einheitlichen Unterstützung?
„Momentan macht der HSV vieles richtig“ war eine sehr gebräuchliche Redewendung in den letzten Wochen, die Hoffmannentscheidung ist zumindest als unglücklich zu bezeichnen.
Einige unterstellen Hoffmann, dass er ganz gezielt auf den gestrigen Tag hingearbeitet hat und bezichtigen ihn der Lüge, da er sein neuestes Amt im Vorwege ausgeschlossen hat. Andere sehen in Hoffmann den Heilsbringer, da sich seit seiner Rückkehr doch so vieles im Verein gebessert hat. Manche mögen in ihm auch ein momentan notwendiges Übel sehen, da halt kein besserer Kandidat zur Verfügung stand.
Mir selbst missfällt die gestrige Entscheidung aus mehreren Gründen.
Ohne Hoffmann etwas unterstellen zu wollen mag ich auch nicht ausschließen, dass eine Rückkehr ins operative Geschäft sein Wunsch oder gar Ziel war. Ich habe ihn nie für den Typ Vereinspräsident gehalten und habe seine Wahl stets als Mittel zum Zweck empfunden. Das hat er ja auch selbst so gesagt. Selbstverständlich wird sein Amt als Vereinspräsident von seinen Vertretern übernommen werden, doch waren diese bei der Wahl im Februar bestenfalls Beiwerk zu Hoffmann.
Thomas „So wahr mir Gott helfe“ Schulz steigt in den AR auf und wird selbstverständlich grundkritisch verfolgen, was sein ehemaliger Kollege so anstellt.
Am meisten stört mich aber der Verlust der Glaubwürdigkeit. Hoffmanns Ernennung ist zweifelsfrei legitim, doch sie geschieht halt durch die Hintertür. Derjenige, der niemanden für den Posten gefunden hat besetzt ihn eben selbst. Ein Schelm der Böses dabei denkt.
Auch die positive öffentliche Wahrnehmung wird durch diese Entscheidung torpediert und der HSV gibt nach außen hin mal wieder das Bild des Karnickelzüchtervereins ab.
Wie intensiv die Suche nach einem Vorstandsvorsitzenden gewesen ist vermag ich nicht zu beurteilen und auch ob mein Kandidat (Holger Hieronymus) überhaupt gefragt wurde weiß ich nicht. Auf keinem Fall möchte ich Bernd Hoffmann die Qualifikation absprechen, doch wenn ich nur überlege, dass er gestern am Tisch saß als über den neuen Sportchef/vorstand gesprochen wurde drängt sich mir das Bild der Einmannkapelle auf. Ein Model aus vergangenen Zeiten.
Zum Abschluss sei mir noch ein Wort zu Lewis Holtby und dessen Vertragsverlängerung gestattet.
Hört doch bitte mit dem Stuss auf den Spielern ihren Gehaltscheck vorzuwerfen. Da verzichtet ein Spieler auf Geld um mit unserem Verein in die zweite Liga zu gehen und die Konsequenzen seines Scheiterns mit zu tragen und ihm wird vorgeworfen nicht in die Systeme mehrerer Trainer gepasst zu haben und zu viel zu verdienen. Das leuchtet mir nicht ein.
Noch absurder wird es, wenn ich überlege, dass Titz von allen gefeiert wird und Holtby einer seiner Eckpfeiler sein soll. Ja was denn nun, vertrauen wir Titz oder nicht.
Wenn ich dann noch überlege, was ein Ersatz für Holtby mit Ablöse, Beraterkosten usw. kosten würde fehlt mir jegliches Verständnis für die Kritiker dieser Vertragsverlängerung.
Und ja, auch eine Vertragsverlängerung von Hunt würde ich befürworten. (Er muss ja nicht jeden Standard schießen).
Nur der HSV!