Samstag, 27. Oktober 2018

Ausgetitzt

Anfang dieses Jahres hatte der HSV ein ganz anderes Gesicht als heute. Jens Meier war Präsident des eV, Heribert Bruchhagen Vorstandsvorsitzender der AG, Karl Gernandt stand dem Aufsichtsrat vor, Todt war Sportchef, Peters Direktor Sport und und und. Seit dem blieb mal wieder kein Stein auf dem Anderen. Halt: Frank Wettstein ist noch Finanzvorstand. Warum auch immer.
Auf der denkwürdigen MV wählte die hauchdünne Mehrheit der anwesenden Mitglieder Bernd Hoffmann zum neuen Präsidenten des eV. Die Zerrissenheit der Mitgliedschaft drückt sich in armseligen Kundgebungen beider Lager aus und der Zustand des Vereins spiegelte sich in den uninspirierten Auftritten der Hollerbachelf auf dem Rasen wieder und auch die treuesten der Fans hatten ob der Performance von denen da oben und da unten die Schnauze voll.
Mal wieder!

Die Ablösung von Bruchhagen und Todt, die schon lange resigniert hatten und diese Resignation deutlich sichtbar mit sich herum trugen war so folgerichtig, wie die von Siebenspielebernd. Das Zeichen war klar. Bernd Hoffmann, dem der eV weitestgehend egal war und der zum neuen starken Mann im Aufsichtsrat aufgestiegen war wollte und würde handeln. Da er schon das Heft des Handelns in der Hand hielt, machte man ihn erst zum provisorischen und alsbald zum bestellten Vorstandschef der AG. Wozu er sich notgerungen auf Grund mangelnder Alternativen bereit erklärte, denn angestrebt hatte er diesen Posten ja nie.

Doch ich schweife ab. Eigentlich wollte ich doch nur die Situation schildern, in der Christian Titz die Chance bekam die Profimannschaft zu übernehmen. Ein Pulverfass, Sekunden vor der Explosion ist das Bild, welches den Zustand meines Vereins im Frühjahr am besten beschreibt.
Titz war kein Feuerwehrmann, sondern das Bombenräumkommando und ich mag mir bis heute noch nicht ausmalen, was aus dem HSV in den Folgemonaten geworden wäre, wenn Titz dem Dino nicht dieses Facelifting verpasst hätte, auf das wir Fans (oder zumindest ich) doch schon so lange gewartet haben.

Auf dem Feld eine eigene Spielidee, mutig und gegen jeglichen Trend auf Ballbesitz und nicht auf Spielzerstörung setzend, der Einsatz von jungen Spielern, nicht aus der Not geboren, sondern als bewusst gewähltes Stilmittel, Aussortierung derjenigen, die nicht mitgehen wollten ohne Rücksicht auf Namen und rasche Begnadigung derjenigen, die sich überzeugen ließen.
Neben dem Platz ein offener Umgang mit Medien und Fans, sowie ein sympathisches Auftreten in der Öffentlichkeit.
Und dann war auch noch erfolgreich. Mehrmals fragte ich mich, ob das denn noch mein HSV sei…

Es war mein HSV. Schon früh beschlich mich das Gefühl, dass Bernd Hoffmann und später auch Ralf Becker nicht von Christian Titz und seiner Art Fußball zu spielen überzeugt waren. Bernhard Peters, der große Fürsprecher von Titz hat sich mit seiner öffentlichen Bewerbung für den Posten des Sportdirektors zur Persona non grata gemacht, wobei ich der unbewiesenen Überzeugung bin, dass ganz andere Beweggründe hinter seiner Entlassung standen. Sei es wie es ist, Titz fehlte die Rückendeckung im Verein und schnell kehrt die wohlbekannte Unruhe in den Volkspark zurück.

Wenn Entscheidungsträger zu der Überzeugung gelangt sind, dass die Zusammenarbeit mit bestimmten Personen nicht länger zielführend ist haben sie die Pflicht sich von diesen zu trennen!
Ralf Becker war dieser Überzeugung und hat entsprechend gehandelt.
Ob man Bernhard Peters vorzeitig entlassen musste (jaja einvernehmliche Trennung…) und ihm das fürstliche Gehalt weiterzahlt ohne dafür eine Gegenleistung zu bekommen vermag ich nicht zu beurteilen und doch habe ich das Gefühl man hätte im Sinne des Vereins auch anders entscheiden können.
Bernhard Peters hat sich in seinen vier Jahren beim HSV oft unbeliebt gemacht, sein stringentes Auftreten hat so manchen Kollegen vor den Kopf gestoßen und zu einigen Trennungen geführt, doch hatte ich (aus großer Entfernung) immer das Gefühl, Peters würde ein Ziel verfolgen konsequent und ohne die Angst anzuecken. Und genau das war seine Aufgabe und genau die hat er erfüllt. Hätte ein Beiersdorfer nur etwas mehr von diesem Auftreten und dieser Geradlinigkeit gehabt würde es um unseren Verein ganz anders stehen.

Christian Titz hat es nicht geschafft die richtige Mischung zwischen Offensive und Defensive herzustellen. Ob er es noch hinbekommen hätte werden wir jetzt nicht mehr erfahren. Tatsache ist, dass Ralf Becker es ihm nicht mehr zugetraut hat.

Ich wollte, dass er es schafft.
Nicht in dem Sinne, dass mein Verein Erfolge feiert und aufsteigt, sondern dass mein Verein mutig bleibt, auf junge Spieler setzt, gemeinsam Krisen übersteht und etwas entwickelt das Bestand hat.
Ja, Titz hatte nach Regensburg vier Spiele Zeit die Balance zu finden, während dieser Zeit wurde Peters entlassen und mit dem Nachfolger von Titz verhandelt.
Natürlich hat die Vereinsführung die Pflicht einen Plan B in der Tasche zu haben, falls gewisse Entwicklungen ausbleiben, doch hätte Hoffmann mit der gleichen Intensität einen Nachfolger für Bruchhagen gesucht, wäre er heute noch Aufsichtsratschef und Vereinspräsident.

Ich habe gehofft, dass mich mein Gefühl trügen würde und mancher HSV-Fan sagte mir, dass Becker doch eigentlich Titz-Fan sei und diesen schon nach Kiel holen wollte.
Leider behielt ich recht. Titz hatte nur die Chance als Solist (mit dem Trainerteam) Erfolg zu haben. Eine denkbar schlechte Voraussetzung. Auch habe ich das Gefühl(!), dass unser zurückgekehrter Heiland es nicht ganz so gern hat, wenn sein Licht überstrahlt wird.

Auf jeden Fall habe ich Freitag den Siegtreffer in Magdeburg emotionslos erlebt, auch schon unter der Woche habe ich entgegen meiner sonstigen Gewohnheit Unterhaltungen über den HSV abgewürgt, bevor ich Stellung beziehen musste.
Ja, irgendwas ist in mir erloschen, wie ich damit umgehe und ob das nur vorübergehend ist weiß ich selbst noch nicht. Rückblickend denke ich, dass die Situation um Titz auch dazu geführt hat, dass es in letzter Zeit kaum einen HSVTalk gab.
Mein Vertrauen in die Führung der AG ist jedenfalls komplett erloschen und Hannes Wolf ist für mich ein guter Trainer, der vielleicht einen Tick zu oft lächelt um authentisch zu wirken, doch vor allem ist er eines: Austauschbar.

Christian Titz hingegen hat für den HSV mehr getan, als jeder Trainer, jede Einzelperson vor ihm. Er hat ihn gerettet. Nicht vor dem Abstieg, aber vor der Selbstzerfleischung und dafür werde ich ihm ewig dankbar sein!